Schwere Zeiten für GREENKEEPER: Der Klimawandel fordert die Rasen-Spezialisten heraus. Auch die Architektur der Stadien wird hinterfragt – wie auch der Einsatz von Chemie.

Danach hätte man die Uhr stellen können. Die Kritik kam prompt: „Ich habe gehört“, meinte Matthias Sammer als Experte von Eurosport, „dass der Platz neu verlegt werden soll. Also das würde ich in meinem Garten nicht zulassen. Das ist doch Wahnsinn!“ Düsseldorf Ende November. Die wenigen Menschen, die sich den TV-Luxus zwischen der Fortuna und Mainz 05 gönnten, erlebten zweckentfremdete Profis, die zwischendurch immer wieder als Greenkeeper Hand anlegen mussten, um herausgerissene Grassoden notdürftig wieder einzufügen. „Der Rasen in der Arena muss immer wieder erneuert werden“, sagt Fortunas Sportvorstand Erich Rutemöller achselzuckend, „weil sie eine Multifunktions-Arena ist. Da finden Konzerte und andere Veranstaltungen statt, das geht dann auch zulasten des Rasens.“

Die Bundesligaklubs als Wirtschaftsunternehmen investieren in Beine und Steine. Manchmal in beides. Und dann auch, mal mehr oder weniger, in die Rasenfläche, das „Heiligtum“ in den Stadien. „Der Rasen ist mein täglicher Arbeitsplatz“, sagt ein Kevin Volland, Profi von Bayer Leverkusen. Dabei kann Volland nicht klagen, wurde das Grün der Bay-Arena in der Vorsaison doch mit dem DFL-Award „Pitch of the Year“ unter den Bundesligisten ausgezeichnet. Es gibt sie, diese spezielle Auszeichnung für die RasenQualität in den Stadien. Ein Reiz für die Greenkeeper, aber auch ein ungleicher Wettbewerb. Zu unterschiedlich sind die Strukturen in den Stadien, beeinflussen Dinge wie Architektur der Tribünen, Sonneneinfall oder Winddurchlässigkeit die Wachstumsbedingungen des Rasens – und das Budget. Längst sind Greenkeeper ausgebildete Spezialisten – weit weg vom Klischee des auf dem Traktor sitzenden, biertrinkenden Gärtners, der im Stadion seine Runden dreht. Längst ist die Rasenpflege zu einer Wissenschaft mit nachhaltiger Bedeutung geworden.

Um den Erfahrungsaustausch der Greenkeeper im Flow zu halten, trafen sich kürzlich 70 Rasenspezialisten beim 7. International Groundsman Meeting in Wien. Eine junge Tradition, initiiert von EuroSportsTurf, einem Unternehmen aus Igling, das sich auf Hybridrasen-Technologien spezialisiert hat. Ein Treffen von Spezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Anschauungsunterricht gab’s in den Stadien und auf Trainingsanlagen der Wiener Großklubs Rapid und Austria. Die beiden Vereine, so rivalisierend sie sich seit Jahrzehnten gegenüberstehen, eint
ein Problem des vergangenen Sommers: Gray Leaf Spot – ein Pilzbefall des Rasens. Mit unterschiedlichem Ausgang: Während die Austria in ihrer erst im Juli 2018 eingeweihten GeneraliArena das Geläuf wegen des Hybridrasens noch retten konnte, musste Rapid im AllianzStadion das Grün wechseln.„Binnen 36 Stunden war der Rasen im Strafraum auf der Sonnenseite des Stadions weg“, erinnert sich Rapids Greenkeeper Daniel Heckl, „erst wurde er braun, dann ging er ein“, schildert der zuvor im Golfsport tätige junge Mann. Schon im Mai hatte Heckl Probleme mit einer Wurzelfäule (Pythium). „Wir hatten ja 2018 praktisch keinen Frühling. Im Mai waren’s 30 Grad, da hatten wir schon einen hohen Krankheitsdruck. Dann kam der Gray Leaf Spot. Weil wir mit Rapid in die Qualifikation der Europa League mussten, wurde binnen drei Tagen ein neuer Rollrasen verlegt“, gibt Heckl Einblicke in den ganz normalen Alltag des Greenkeepers. „Und ich bin schon gespannt, wie es im nächsten Jahr wird. Aber wie willst du die Natur austricksen?“

Strafraum Rapid Wien

Der Strafraum im Rapid-Stadion: Hier schlug im Sommer 2018
der Gray Leaf Spot zu. Ein neuer Rasen war unumgänglich.

Rasenpflege 4.0? Greenkeeper als Tüftler. Welche Sorten wachsen am besten in welcher Umgebung? Wie kann ich in einem unter rein architektonischen Gesichtspunkten erbauten Stadion, in das kaum Sonnenlicht strahlt, in dem kein Windzug geht, den Rasen gedeihen lassen? So, dass er weich und feucht auf der einen Seite, strapazierfähig und robust auf der anderen Seite ist? Und das im sich stetig wandelnden, wärmer werdenden Klima? „Mit dem Wetter gehst du ins Bett und stehst damit auf“, gesteht Klaus-Peter Sauer, Greenkeeper beim VfL Wolfsburg. Einst pflegte der 46-jährige gelernte Chemikant „alles, was grün ist“ für Dietmar Hopp. Den Golfplatz in St. Leon-Rot ebenso wie alle Grünflächen bei der TSG Hoffenheim. Er machte die Ausbildung zum Turf Manager in den USA, kümmerte sich um Pflanzenernährung und Mikroorganismen. Heute wässert er mit seinem Team während des Trainings, weil’s die Profis so wünschen. Ein Leben zwischen Wetterstationen, Bodenproben, Blattanalysen und Sortenmischungen – auch, weil der Klub der Platzpflege einen hohen Stellenwert beimisst. Die Trainingsplätze sind wie der Stadionrasen. Gray Leaf Spot – ein Albtraum? „Wir hatten große Probleme 2017“, sagt Sauer, „da hatten wir vier Spiele auf einem schlechten Platz. Ab Oktober war es dann wieder okay.“ 2018 hatte der VfL-Greenkeeper als einer der wenigen keine Probleme, „weil ich das Management der Grassorten verändert habe“, schmunzelt er.

Ansonsten kann er sich auf sein großes Team und seine Gerätschaften verlassen. Natriumhochdruckdampf-Lampen zur Beleuchtung ebenso wie Ventilatoren zur Kühlung. „Licht und Wind sind absolut wichtige Faktoren für uns“, betont er und freut sich auch darüber, dass das Trainerteam um Bruno Labbadia kein Abschlusstraining im Stadion abhält – weil auch ein nicht einsehbarer Trainingsplatz (wegen der Spione) die Hybrid-Qualität des Stadions hat und dadurch der Stadionrasen nicht beeinträchtigt wird. Grün im Wandel. Den erlebt Hermann Schulz seit 1984
mit. Der heute 54-Jährige kommt aus dem Gartenbau, spezialisierte sich dann im Golfsport, „weil man da mit dem Material spielen kann“, wie er sagt. Von 2007 bis 2014 kümmerte er sich als Leiter Greenkeeping in Hamburg um das Volksparkstadion, seither ist er im HSV e. V. Leiter Infrastruktur. „Kein Problem“, erinnert sich Schulz an seine Anfänge, um längst auf dem Boden der Tatsachen gelandet zu sein. „Speziell bei uns“, weiß Schulz, „ist es viel zu dunkel für die Pflanze. Da muss man tüfteln. Vor allem mit der Beleuchtung, damit die Qualität besser wird. Trotzdem mussten wir ein- bis zweimal pro Jahr den Rasen wechseln. Ein finanzieller Faktor. Vor zehn Jahren kostete es etwa 120 000 Euro, jetzt 140 000 Euro. Beim Tausch eines Hybridrasens, den wir in Hamburg seit 2014 haben, ist es noch höher.“ „Ich muss mit dem Rasen ein Produkt abliefern“, lautet sein Anspruch, „und obwohl ich noch aus der Chemiezeit der Greenkeeper komme, möchte ich auf Chemie verzichten. Lieber arbeite ich an der Veränderung mit heimischen Sorten, der Bodenbearbeitung und Bio-Dünger.“

Und Gray Leaf Spot? „Das sind neue Ausmaße im Zuge des Klimawandels“, bewertet Schulz
die Veränderung und fordert ein Umdenken in der Architektur der Stadien: „Die sind für die Zuschauer gebaut. Keiner hat an den Rasen gedacht. Nicht von ungefähr gibt’s in den USA oder auch in Irland Stadien, die auf der Südseite Einschnitte haben, die für Licht und Windzufuhr sorgen.“ HARDY HASSELBRUCH – kickerbusiness Dez.